„Wir tauchen ein, Zeit und Raum sind aufgehoben. Musik erreicht dies unmittelbar, auf direktem Weg, losgelöst vom Kontext ihrer Entstehung.”
Das Komitee für den 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven hatte den befreundeten Pianisten Markus Kreul gebeten eine Musik zu einem Stummfilm von 1927 zu erstellen, allerdings nicht in der Manier eines Stummfilmpianisten, sondern aus der Warte des Konzertpianisten. Es ging also weniger um illustrative Musik, sondern ein eigenens Konzept, das mit dem Film Beethoven korrespondiert.
Der Film Beethoven, auch bekannt unter dem deutschen Zweittitel Das Leben des Beethoven, ist eine österreichische Stummfilmbiografie aus dem Jahr 1927. Unter dem Pseudonym Hans Otto führte Hans Otto Löwenstein Regie. Der Film wurde ab Sommer 1926 in den Listo-Film-Ateliers in Wien-Schönbrunn gedreht. Er besaß fünf Akte auf einer Länge von etwa 2200 Metern. Beethoven wurde erstmals im Januar 1927 gezeigt und erlebte am 18. Februar 1927 seinen Massenstart. In Deutschland lief er unmittelbar darauf an und wurde dort mitunter unter dem Titel Der große Einsame gezeigt. Anlass für diesen Beethovenfilm war der anstehende 100. Todestag (26. März 1827) des Ausnahmekomponisten. Für Fritz Kortner war dies bereits der zweite Filmauftritt als Beethoven. Bereits Ende 1917 hatte er den Komponisten in der gleichfalls österreichischen Produktion Der Märtyrer seines Herzens von Emil Justitz gespielt. Ernst Richter entwarf die Filmbauten. Die österreichische Filmkommission des Zentralinstitutes für Erziehung und Unterricht erklärte den Film einstimmig für „volksbildend“.
Der Film wurde zum Beethovenjubiläum 2020 restauriert und wurde Jahrzehnte nicht gezeigt.
Am 20.9.2020 wurde die filmisch-musikalische Gesamtkomposition als open-air-Auftakt auf der Rheinterrasse des Arndt-Hauses in Bonn vor einem breiten Publikum live aufgeführt.
Wir hatten die Möglichkeit diese Veranstaltung exklusiv im privaten unkommerziellen Rahmen als Generalprobe live zu erleben.
Der Pianist Markus Kreul über das Projekt:
Befreiung.
"Einen Film erleben wir zweidimensional, überlebensgroße Einstellung und rechtwinklig beschnittene Bilder sind unserer realen Seherfahrung fremd. Aber nach einer Weile, wenn wir die Bilder für uns interpretieren und als Filmrealität konstruieren, setzt die Unmittelbarkeit ein. Wir tauchen ein, Zeit und Raum sind aufgehoben. Musik erreicht dies unmittelbar, auf direktem Weg, losgelöst vom Kontext ihrer Entstehung.
In meiner Musikcollage treffen Ludwig van Beethovens Sechs Bagatellen op. 126 (1824) auf ein großes Klavierwerk des 20. Jahrhunderts: das Buch der Klänge (1979-1982) von Hans Otte. Eine Besonderheit ist der erste Satz von Beethovens „Mondscheinsonate“. Sie erklingt zunächst deckungsgleich mit dem Film, wird dann zum mysteriösen Klangraum für die „Unsterbliche Geliebte“.
Hans Otte spürt dem Innenleben der Klänge nach. Er lässt ihnen Raum, gibt ihnen Luft zum Atmen und nimmt sie an wie Hervorbringungen der Natur, bis sie beginnen zu sprechen und die Welt zu spiegeln und der Hörer sich schließlich in ihnen wiederfinden kann. Es gelingt Otte, sich allen Forderungen des musikalischen Fortschritts zu entgrenzen. So erreicht er Befreiung.Nach den späten Klaviersonaten op. 101-111 wendet sich Beethoven in seinem letzten Klavierwerk nochmals der Bagatelle zu; einer kleinen Form, einem kompositorischen Konzentrat, das in seiner Kürze und in einer einfacherenmusikalischen Syntax ganz direkt zu uns spricht.
Ich spüre in diesen Stücken das Loslassen Beethovens nach seinen monumentalen letzten Sonaten, der 9. Symphonie und der Missa Solemnis - das Gefühl, seine Pflicht getan zu haben. Auch hier: Befreiung. Außerdem spüre ich den Menschen Ludwig van Beethoven, in seiner großartigen Kraft, aber auch in seiner ganzen Empfindsamkeit und Verletzlichkeit.Dem Film gelingt es, in kurzer Zeit ein ganzes Leben zu erzählen und somit Zeitempfinden aufzuheben, die subtilen Klangtexturen von Hans Otte erreichen Ähnliches. Die einzelnen Kapitel des Buchs der Klänge sind nicht bis ins Letzte festgelegt, Wiederholungen sind in gewissen Maße dem Interpreten überlassen, und auch im Film erhält diese Musik einen in Grenzen flexiblen Raum, so dass jede Aufführung anders ausfallen wird." (Markus Kreul)
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